Schönheit liegt im Auge des Betrachters

Monatsbericht Juni 2025

makellos oder verstörend?

Datum
02. Juni 2025
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Schönheit liegt im Auge des Betrachters

Am 22. Mai verabschiedete das US-Repräsentantenhaus das „One Big Beautiful Bill Act“ (OBBBA) – ein umfassendes Steuerpaket, das aus Sicht seiner Befürworter fiskalische Vernunft und marktwirtschaftliche Klarheit bringt. Doch nicht alle halten das Ergebnis für besonders „schön”. Die Vorlage sieht tiefgreifende Einschnitte bei Sozialprogrammen sowie dauerhaft tiefere Steuersätze für Unternehmen und Besserverdienende vor. Als tickende Zeitbombe im OBBBA könnte sich „Section 899” entpuppen: sie diskriminiert gezielt Investoren aus bestimmten Ländern, was rechtliche Risiken und potenzielle Gegenmassnahmen nach sich ziehen dürfte. Die Zustimmung des Senats steht noch aus; bisher folgte die Debatte klaren parteipolitischen Linien.

Bereits im Vorfeld – am 16. Mai nach Handelsschluss – entzog die Ratingagentur Moody’s den Vereinigten Staaten das Triple-A-Rating und stufte die Kreditwürdigkeit auf Aa1 herab. Damit folgte Moody’s einem Schritt, den Fitch bereits 2023 und S&P Global Ratings im Jahr 2011 vollzogen hatten. Moody’s geht davon aus, dass die US-Staatsverschuldung bis 2035 auf rund 134% des Bruttoinlandprodukts ansteigen wird – gegenüber 98% im vergangen Jahr.

Die Finanzmärkte reagierten bislang erstaunlich gelassen. Die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen stieg zwar im Mai von unter 4.20% bis auf 4.60% und lag zum Monatsende bei 4.40%. Für etwas Irritation sorgte eine schwach nachgefragte Auktion 20-jähriger Treasuries: die Rendite dieser Laufzeit stieg von 4.70% auf zeitweise knapp 5.20%, zum Monatsende lag sie bei 4.93%. Aber auch in Deutschland und Japan zogen die Renditen an – wenn auch weniger ausgeprägt. Marktteilnehmer spekulierten über eine informelle Einigung im Rahmen der Zollverhandlungen, wonach sich die Bank of Japan zurückhaltender als bislang am heimischen Anleihemarkt engagieren könnte, um künstliche Wettbewerbsvorteile durch niedrige Zinsen und einen schwachen Yen zu vermeiden.

Der S&P 500 legte vom 8. April bis Ende Mai um bemerkenswerte 19% zu. Eine temporäre Aussetzung der globalen Strafzölle am 9. April löste ein regelrechtes Kursfeuerwerk aus. Mit einem Monatsplus von 6.15% war der Mai der beste Monat seit November 2023. Im bisherigen Jahresverlauf lag der S&P 500 jedoch mit lediglich 0.5% nur leicht im positiven Bereich.
Deutlich dynamischer entwickelten sich europäische Börsen: der spanische IBEX 35 und der deutsche DAX zählten mit Zuwächsen von jeweils über 20% zu den globalen Spitzenreitern. Der breit gefasste STOXX 600 legte um 8.1% zu, während der defensivere Swiss Leader Index (SLI) ein moderateres Plus von 3.9% verbuchte. In Asien dagegen verlief die Entwicklung verhaltener: der Shanghai Composite stagnierte (-0.1%), der Nikkei 225 verlor 4.8%.

Im Rohstoffsegment erwies sich Gold bislang als eine der besten Anlageklassen: das Edelmetall verteuerte sich seit Jahresbeginn um 26%. Noch deutlicher fiel die Kursentwicklung bei Goldminenaktien aus, die – gemessen am VanEck Gold Miners ETF (GDX) – um 49% zulegten. Der Ölpreis hingegen gab seit Januar um 15% nach, während Kupfer um knapp 17% zulegte. Bitcoin notierte gegenüber dem US-Dollar um 12% fester.

Der Dollar-Index (DXY), der den Greenback gegenüber sechs wichtigen Handelswährungen misst, verlor im laufenden Jahr über 8%. Gegenüber dem CHF lag das Minus bei über 9%. Der Franken gewann gegenüber dem Euro leicht um 0.6%.

 

Der TACO Trade

Mitverantwortlich für die jüngste Börsenrally könnte auch der sogenannte „TACO-Trade“ gewesen sein – eine ironische Abkürzung für „Trump Always Chickens Out“. Gemeint ist die Erwartung, dass der US-Präsident zwar harte Zolldrohungen ausstösst, letztlich aber von deren Umsetzung zurückschreckt – nicht zuletzt, weil ihm die positive Entwicklung der Aktienmärkte ein besonderes Anliegen ist.
Trump zeigt in der Politik durchaus Flexibilität, ist jedoch für seine Empfindlichkeit gegenüber persönlicher Kränkung bekannt. Der Vergleich mit einem „feigen Huhn“ scheint ihn besonders zu treffen. Als eine Reporterin kürzlich in einer Pressekonferenz auf den TACO-Trade anspielte, entgegnete Trump sichtlich verstimmt: „Sagen Sie nie wieder, was Sie gerade gesagt haben. Das ist eine hässliche Frage.“ Es ist daher nicht auszuschliessen, dass er eines Tages allein aus Prinzip Strafzölle durchsetzen wird, nur um wieder Hahn zu sein…

 

Makroökonische Einordnung und Ausblick

Vor dem Hintergrund der jüngsten Marktsignale bleiben wir für die Aktienmärkte vorsichtig optimistisch. Die Positionierung im Futures-Markt auf den S&P 500 bleibt tendenziell bärisch – was sich historisch oft als guter Kontraindikator erwiesen hat. Von euphorischer Stimmung kann jedenfalls keine Rede sein.

Zwar bergen hohe Staatsdefizite und steigende Schuldenniveaus ein Potenzial für anziehende Langfristzinsen. Doch können höhere Renditen auch als Ausdruck robuster Wachstums – und Inflationserwartungen interpretiert werden. So lag etwa die durchschnittliche Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen während des langen Bullenmarkts der 1980er- und 1990er-Jahre deutlich über 5%.

Die Rezessionswahrscheinlichkeit für die USA im Jahr 2025 wurde auf noch 32% beziffert (kalshi.com, 31. Mai 2025), nach fast 70% vor einem Monat. Das Wachstum im 1. Quartal schrumpfte leicht um 0.2%, die Prognose für das 2. Quartal lag bei robusten 3.8% (Atlanta Fed GDPNow, 30. Mai 2025). Die US-Inflation dürfte im Mai mit 2.40% (Cleveland Fed Inflation Nowcasting, 30. Mai 2025) weiterhin über der Zielmarke von 2.0% verharren, so dass vorerst nicht mit einer Zinssenkung durch die US-Notenbank Fed zu rechnen ist. Die Kreditaufschläge für US-Hochzinsanleihen verringerten sich von ihrem Aprilhoch bei 4.6% deutlich auf 3.2%.

Für Juni erwarten wir ein sogenanntes Reflationsszenario mit anziehender Konjunktur und moderatem Preisauftrieb. Zyklische Aktien aus den Bereichen Technologie, Industrie und Finanzwesen dürften hiervon besonders profitieren. Auch Industriemetalle wie Kupfer und Silber könnten positiv überraschen. Dagegen dürften Gold, langlaufende Staatsanleihen und der US-Dollar tendenziell unter Druck geraten.

„Man bekommt nicht immer, was man will”
Lied der Rolling Stones, 1969 (“You Can't Always Get What You Want”) |
(Fun fact: Trump benutzte diesen Song im Wahlkampf 2016 und 2020)
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