Monatsbericht September 2023
Rezessionssorgen, düstere Prognosen – und doch: Resilienz! Die Finanzmärkte überraschen weiterhin. Warum der Pessimismus überbewertet sein könnte und welche Chancen sich bieten.
Zu Beginn des Jahres 2023 war eine weltweite Rezession unter Finanzmarktstrategen und Marktbeobachtern (auch wir gehörten leider dazu) so gut wie sicher. Einzig über den Zeitpunkt des Eintretens waren Nuancen auszumachen, wobei ein schwieriges erstes Halbjahr gefolgt von einer Aufhellung in der zweiten Jahreshälfte das Grundszenario bildeten. Mit fortschreitendem Jahresverlauf wurde das Narrativ angepasst, die angekündigte Rezession in die zweite Jahreshälfte oder sogar weiter nach hinten, auf anfangs 2024 verschoben.
Tatsächlich haben sich in den letzten Monaten die weltweiten PMIs (Purchasing Managers‘ Index) für das verarbeitende Gewerbe spürbar verschlechtert, und in vielen Ländern sind sie sogar auf Werte weit unter 50 gefallen, was auf einen starken Rückgang hinweist (Tabelle).
Kürzlich schloss sich auch die Zeitschrift „The Economist“ diesem Trend an und titulierte Deutschland auf ihrer Frontseite erneut als den „kranken Mann Europas“ (nachdem sie dies bereits im Jahr 1999 getan hatte, siehe Abbildung). Obwohl diese englische Zeitschrift unter Fachleuten und Akademikern einen ausgezeichneten Ruf geniesst, zeichnet sie sich oft durch eine unheimliche Präzision für schlechtes Timing aus, wenn man sie als Grundlage für Aktienprognosen verwendet…
Die zahlreichen Untergangspropheten und die schlechten Nachrichten konnten im bisherigen Jahresverlauf dem Rally an den Aktienmärkten nur wenig anhaben, so dass in den letzten Wochen erneut ein R-Wort die Runde machte: Resilienz.
Besonders die US-amerikanische Wirtschaft wird dabei hervorgehoben. Sie hat sich bisher als viel widerstandsfähiger erwiesen, als ursprünglich angenommen:
- Die Barguthaben der privaten Haushalte befinden sich nahezu auf Rekordniveau.
- Auch die Barguthaben in den Unternehmensbilanzen sind nahezu auf Rekordniveau.
- Das Einkommen und der Wohlstand des Privatsektors haben im Verlauf dieses Konjunkturzyklus die Inflation übertroffen.
- Es bestehen nur begrenzte Verwundbarkeiten im Kreditzyklus.
- Die Exposure gegenüber dem volatilen Sektor des verarbeitenden Gewerbes ist äußerst begrenzt.
- Es gibt längere Phasen von „langen und variablen Verzögerungen“.
- Es herrschen perfekte Bedingungen für die Entwicklung neuer Wohnprojekte.
- „Bidenomics“ spielt eine Rolle.
- Die Einwanderung ist ein wichtiger Faktor.
- Es gibt eine Hortung von Arbeitskräften.
Quelle: 42 Macro LLC, 22. August 2023
Im bisherigen Jahresverlauf erzielte der S&P 500 eine Performance von 18% und konnte damit den europäischen STOXX 600, der mit lediglich 8% im Plus lag, deutlich übertreffen. Mit noch vier Monaten bis zum Ende des Jahres befindet sich der S&P 500 auf Kurs, um sein achtes Jahr der Überrendite gegenüber dem STOXX 600 in den letzten zehn Jahren zu erreichen. In diesem Jahr hat der Hype um künstliche Intelligenz besonders stark gewirkt und wirtschaftliche Bedenken sowie teurere Bewertungen in den Hintergrund gedrängt.
Die untenstehende Abbildung zeigt die jährlichen Renditen des S&P 500 von 1994 bis 2023. Diese langfristige 30-jährige Perspektive veranschaulicht, dass der breite Aktienmarkt in der Vergangenheit öfters gestiegen ist, und in dieser Periode im Durchschnitt eine jährliche Rendite von 9-10% erzielt hat.
Dennoch wird den Untergangspropheten in den meisten Medien aussergewöhnlich viel Raum gegeben, und schlechte Nachrichten stossen in der Regel auf grosse Resonanz. Pessimisten und Schwarzmaler werden oft als intelligenter wahrgenommen, da sie bereits an alles „Negative“ gedacht zu haben scheinen. Dabei treffen sie psychologisch genau den Nerv vieler Investoren, die eine sogenannte Verlustaversion aufweisen. Darunter versteht man ein Phänomen, bei dem ein tatsächlicher oder potenzieller Verlust als psychologisch oder emotional schwerwiegender empfunden wird als ein entsprechender Gewinn. So ist beispielsweise der empfundene Schmerz über den Verlust von 100 Franken oft weitaus grösser als die Freude über den Gewinn des gleichen Betrags.
Aufgrund der Überflutung mit schlechten Nachrichten und der eigenen Verlustaversion wird der Zustand der Finanzmärkte oft zu negativ beurteilt, und der Einfallsreichtum der Menschen und Unternehmen, die sich einem widrigen Umfeld anzupassen wissen, wird häufig unterschätzt oder gänzlich ausgeblendet.
Wir gehen davon aus, dass die westlichen Notenbanken ihren Zinserhöhungszyklus abgeschlossen haben und dass sich die Kerninflationsraten im restlichen Jahresverlauf weiter zurückbilden werden. Dies wird den Weg für Zinssenkungen ab Mitte 2024 ebnen. Rücksetzer am Aktienmarkt im September können für Zukäufe genutzt werden, sowohl in Europa – wo viele negative Nachrichten bereits eingepreist sind – als auch in den USA.