Reshoring: Ein Trend mit weitreichenden Folgen

Monatsbericht November 2023

Ein Blick auf die zukünftigen Entwicklungen und geopolitischen Auswirkungen.

Datum
03. November 2023
Kategorien

Rückblick und Ausblick

Die wichtigsten Aktienmärkte beendeten den Oktober den dritten Monat in Folge mit einem Verlust. Insbesondere steigende langfristige Zinsen machten den Aktienmärkten zunehmend zu schaffen. Im bisherigen Jahresverlauf rutschte der Swiss Leader Index (SLI) mit -0.8% leicht ins Minus, während der STOXX 600 mit +2.1% und der S&P 500 mit +9.2% auch nach drei negativen Monaten noch Gewinne verbuchen konnten. Seit den Höchstständen gegen Ende Juli verloren alle drei Indizes zirka 10% bis zu den Tiefstständen gegen Ende Oktober und befanden sich somit definitionsgemäss in einer Korrekturphase.

In den USA lag das Bruttoinlandprodukt (BIP) nach vorläufigen Schätzungen im 3. Quartal bei beeindruckenden 4.9%, nach 2.2% im 1. und 2.1% im 2. Quartal 2023. Die Inflation kühlte sich ab, lag jedoch immer noch über dem erwünschten Niveau.

Die US-Notenbank Fed erhöhte die Leitzinsen an ihren zwei letzten Sitzungen nicht mehr weiter, während die EZB noch eine weitere Zinserhöhung vornahm. Die Leitzinsen betragen derzeit 5.50% in den USA, 4.50% in der Eurozone und 1.75% in der Schweiz. Alle drei Zentralbanken werden im laufenden Jahr noch eine weitere Sitzung abhalten und zwar am 13. bzw. 14. Dezember.

Saisonal betrachtet ist der November der beste Monat für den S&P 500 und markiert den Beginn der „Besten Sechs Monate“. Die Performance im November eines Vorwahljahres war zwar jeweils etwas schwächer, aber sie blieb im Durschnitt immer noch positiv.

„Reshoring ist die Zukunft der Fertigung.“
Klaus Schwab |
Gründer und geschäftsführender Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums, im Buch „Die Vierte Industrielle Revolution“ (2016)

Reshoring (auch Nearshoring oder Friendshoring) ist der Prozess, bei dem die Herstellung und andere Geschäftsaktivitäten in das Herkunftsland zurückverlagert werden. Dies ist ein Trend, der in den letzten Jahren an Fahrt gewonnen hat und von verschiedenen Faktoren angetrieben wird, darunter die COVID-19-Pandemie, der anhaltende Handelskrieg zwischen den Vereinigten Staaten und China sowie steigende Bedenken hinsichtlich der Belastbarkeit globaler Lieferketten.

Reshoring kann erhebliche Auswirkungen auf die Volkswirtschaften sowohl in den Ländern haben, in denen es stattfindet, als auch in den Ländern, aus denen Unternehmen abwandern. Kurzfristig kann Reshoring zu Arbeitsplatzverlusten in den Ländern führen, aus denen Unternehmen abwandern, sowie zu höheren Preisen für Verbraucher in den Ländern, in die Unternehmen umziehen. Langfristig kann Reshoring jedoch das Wirtschaftswachstum in den Ländern, in denen es stattfindet, ankurbeln, da Unternehmen in neue Fabriken und Ausrüstungen investieren und neue Mitarbeiter einstellen.

Reshoring kann auch Auswirkungen auf die Inflation haben. Kurzfristig kann Reshoring zu höheren Verbraucherpreisen führen, da Unternehmen die Kosten des Reshoring an ihre Kunden weitergeben. Langfristig kann Reshoring jedoch dazu beitragen, die Inflation zu reduzieren, indem die Lieferketten widerstandsfähiger gemacht werden und die Abhängigkeit von Importen verringert wird.

Der Reshoring-Prozess findet nicht im luftleeren Raum statt. Die Parallelen zwischen der aktuellen geopolitischen Lage und der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg deuten darauf hin, dass sich der Trend des Reshoring in den kommenden Jahren voraussichtlich beschleunigen wird. Es ist gut möglich, dass Reshoring als Reaktion auf den neuen Kalten Krieg an Fahrt gewinnen wird. In einer Zeit zunehmender geopolitischer Spannungen könnten Unternehmen versuchen, ihre Produktion in die Heimat zu verlagern, um sie vor möglichen Störungen in den Lieferketten zu schützen.

Wir sehen die folgenden Länder als Gewinner des Reshoring-Prozesses: Vereinigte Staaten, Mexiko, Kanada, Deutschland, Japan, Südkorea und Taiwan. Diese Länder verfügen über starke Fertigungssektoren, qualifizierte Arbeitskräfte und eine gute Infrastruktur. Sie liegen zudem in der Nähe grosser Märkte, was sie zu attraktiven Standorten für Unternehmen macht, um ihre Geschäftstätigkeiten anzusiedeln.

Folgende Länder könnten zu den Verlierern des Reshoring-Prozesses zählen: China, Vietnam, Thailand und Indonesien. Diese Länder haben in den letzten Jahrzehnten am meisten vom Offshoring profitiert. Der Reshoring-Trend dürfte die Nachfrage nach ihren Exporten verringern.

Die folgenden Branchen dürften von dem Reshoring-Prozess profitieren: Luft- und Raumfahrt, Verteidigung, Automobil, Elektronik, Medizinische Geräte, Pharmazeutik, Halbleiter. Diese Branchen sind alle stark kapitalintensiv und erfordern qualifizierte Arbeitskräfte. Sie gelten zudem als strategisch wichtig für Regierungen.

Die folgenden Branchen dürften Verlierer des Reshoring-Prozesses sein: Bekleidung, Unterhaltungselektronik, Möbel, Spielzeuge. Diese Branchen sind alle vergleichsweise arbeitsintensiv und können leicht in Länder mit geringen Arbeitskosten verlagert werden.

Werden sich die Vereinigten Staaten im Zuge des Reshoring-Prozesses der Wirtschaft auch auf dem politischen Parkett in die „splendid isolation“ zurückziehen?

Splendid Isolation“ ist ein Begriff, der verwendet wird, um ein Land zu beschreiben, das sich aus internationalen Angelegenheiten zurückzieht und sich auf seine eigenen inneren Angelegenheiten konzentriert. Ein Faktor ist der Aufstieg des Populismus und des Nationalismus. Populistische und nationalistische Regierungen befürworten oft eine nach innen gerichtete Politik, wie Handelsschutzmassnahmen und Einwanderungsbeschränkungen.

Eine neue Politik der Splendid Isolation könnte zu einer Verringerung des US-Handelsdefizits, einer erhöhten Widerstandsfähigkeit gegenüber externen Schocks, sowie einer Zunahme von Arbeitsplätzen führen. Negative Auswirkungen könnten ein höheres Preisniveau und eine Zunahme der Spannungen mit anderen Ländern sein.

Bereits jetzt könnte der Reshoring-Prozess einer der Faktoren sein, um aktuelle wirtschaftliche Trends zu erklären: darunter die Resilienz der US-Wirtschaft und des Arbeitsmarkts, die starke Performance des US-Dollars, aber auch den weltweiten abrupten Anstieg der Inflationsraten.

„Reshoring ist wie das Zurückholen einer Ex-Freundin. Es ist anfangs aufregend, aber dann erinnert man sich, warum man sich überhaupt getrennt hatte.“
Anonym
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